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«Wir haben das Rad
nicht neu erfunden...»
Von Oliver Degen
Mit der Wahl der beiden Ärzte Dieter A. Musfeld und Hans-Joachim Genz zum
«Neuunternehmer des Monats Dezember» hat sich der Beirat in dieser Runde für
eine Berufsgattung entschieden, die im Allgemeinen nicht als Unternehmer für
Furore sorgt. Mit dem innovativen Konzept einer ambulanten Klinik für Tageschirurgie,
Geburtshilfe, Gynäkologie und Mammographie haben die beiden Mediziner jedoch
Bewegung in das sonst eher starre Gesundheitssystem gebracht.
Binningen. «Im Vorfeld der
Klinikgründung verspürten wir in unserem beruflichen Umfeld generell eine abnehmende
Motivation, die auf fehlende Zukunftsvisionen im Gesundheitswesen
zurückzuführen war», erinnert sich Dieter A. Musfeld an vergangene Zeiten.
Immer wieder hätten sie sich die Frage gestellt, was man denn an diesem
Umstand ändern könne.
Schlussendlich sei die
vage Idee einer eigenen Klinik, in der ambulante Eingriffe unter
spitalähnlichen Bedingungen durchgeführt werden können, zu einem konkreten
Konzept gereift. «Dabei haben wir das Rad nicht neu erfunden, denn in
Deutschland hat man bereits Erfahrungen im Betreiben solcher Kliniken
gesammelt», hält der 53-jährige Hans-Joachim Genz fest. Als dann den beiden
Medizinern im Frühjahr 1998 das Angebot unterbreitet wurde, geeignete
Räumlichkeiten an der Hauptstrasse in Binningen zu übernehmen, stand der Gründung
der eigenen «Praxisklinik» nichts mehr im Weg. «Dieses Angebot war ein
absoluter Glücksfall, weil wir auf eine bestehende Infrastruktur
zurückgreifen konnten», erzählt Musfeld. Erst dadurch sei das ganze Projekt
überhaupt realistisch geworden, denn das Kapital für einen kompletten Neubau
hätten die beiden nicht aufbringen können. «Weil wir die Räumlichkeiten nur
punktuell anpassen mussten, konnten wir unser Startkapital in neue
medizinische Geräte investieren, so dass wir heute die Untersuchungen auf dem
neusten Stand der Technik durchführen können», freut sich Genz.
Kürzere
Arbeitsunfähigkeit
Als einen der
wesentlichen Vorteile der ambulanten Behandlung führt Hans-Joachim Genz die
verkürzte Arbeitsunfähigkeit der Patienten auf. «Dank schonender, innovativer
Behandlungsmethoden, die durch den technologischen Fortschritt in der Medizin
erst möglich geworden sind, sind unsere Patienten viel schneller wieder zu
Hause». Natürlich habe die verkürzte Behandlungszeit auch Auswirkungen auf
die entstehenden Kosten: «Durch die Einsparung an Betten können wir die
Eingriffe zu 60% der Kosten einer stationären Behandlung durchführen», hält
Genz weiter fest. Dies gelte es jedoch für die Patienten zu relativieren:
Häufig müsse die Patientin einen höheren Selbstbehalt tragen als bei einem
Eingriff in einem Spital.
Kein Kampf gegen
Belegspitäler
Die beiden Innovatoren
halten jedoch ausdrücklich fest, dass sie auf keinen Fall die
Auseinandersetzung mit den Belegspitälern suchen würden. «Die brauchen wir zu
200 Prozent», beschreibt Musfeld die eigene Position - wobei sich diese
Aussage auch auf die Allgemeinheit beziehen lasse. Beide halten auch nichts
von Schwarz-Weiss-Malerei - «es hat schlussendlich genügend Bedarf für beide
Systeme», zeigt sich Genz überzeugt. Die beiden Mediziner wehren sich auch
gegen den Vorwurf, dass sie nur «die guten Risiken» behandeln würden. «Genau
so wie in einem Belegspital sind rund zwei Drittel unserer Patienten für das
Spital 3.-Klass-Versicherte und ein Drittel zählen zur 1. und zur 2. Klasse»,
zitiert Musfeld aus der Statistik. Für die ambulante Behandlung in der
Praxisklinik gelten hingegen klassenunabhängige Einheitspreise. Eine Umfrage
unter den eigenen Patienten habe zudem gezeigt, dass für die grosse Mehrheit
die Erwartung einer verkürzten Behandlungszeit den Ausschlag für die
Praxisklinik gegeben habe. Das Durchschnittsalter der befragten Patienten
habe in den Anfangsjahren 38,9 Jahre betragen, rund 75% seien berufstätig.
Viel
Überzeugungsarbeit geleistet
Doch so einfach war
die ganze Angelegenheit am Anfang auch nicht. Genz erinnert sich noch gut an
den ersten Kontakt mit einer Krankenkasse: «Die Verantwortlichen hatten
zuerst nur ein Lachen für unsere Idee übrig.» Doch schlussendlich habe man
auch bei den Versicherungen realisiert, dass das Konzept einer ambulanten
Klinik eine Win-win-Situation für alle Beteiligten darstelle, also für
Patient, Arzt und Versicherer. «Das zweite Treffen bei der ÖKK hat dann
immerhin bereits vier Stunden gedauert», berichtet Musfeld. Schlussendlich
sei die Unimedes zuerst einen auf zwei Jahre befristeten Vertrag eingegangen,
der danach unbeschränkt verlängert wurde. Unterdessen haben die beiden Ärzte
Verträge mit verschiedenen Versicherungen (Sanitas, Intras, Visana, Wincare
und Swica) abgeschlossen - «und beide Parteien sind sehr zufrieden mit dem
Erreichten», freut sich Musfeld.
«Die ersten zwei Betriebsjahre der Klinik konnten wir nur dank der
Unterstützung und der aktiven Mitarbeit von Familienangehörigen überstehen»,
erinnert sich Genz an die hektische Anfangszeit. Das Engagement sei uferlos -
aber nicht grenzenlos gewesen. Doch die Freude am Beruf und der Glaube an die
eigene Idee habe sie immer weiter vorangetrieben. «Unterdessen ist aber auch
vermehrt ein geregelter Wochenablauf eingekehrt» - ein Zustand, den beide
nicht wieder aufgeben möchten.
Anmerkung: Hans-Joachim Genz verliess die Praxisklinik Binningen ends 2005. Im folgenden Jahr trat Dr. Roger Goldberg ein bis zu seiner Pensionierung im Frühjahr 2018.
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